Suppe – Reis – Grüntee. Wenn Japaner*innen frühstücken…
Wir erwachen von leisen Geräuschen der Zimmer-Mitbewohner, genauer gesagt der Bewohner des gesamten Gebäudes, denn die Wände sind hier – nicht nur im sprichwörtlichen Sinne – aus Papier. Das erste Mal Aufwachen in Japan. Erschöpft vom Jetlag und wenigen Stunden Schlaf wollen wir trotzdem die Zeitverschiebungs-Regeln befolgen und die neue Zeit von Anfang an mit leben.
Also schlüpfen wir brav in die Hausschuhe, die ein Heinzelmännchen in der Nacht feinsäuberlich, in die richtige Richtung gedreht, vor der Tür aufgereiht hat und nehmen die steile Holztreppe, die uns in den unteren Stock des traditionellen Holzgebäudes führt, in dem unser Hostel in Tokyo untergebracht ist. Wären wir nicht am Vorabend noch vom Flughafen durch diese verrückte, wuselige Stadt gebraust, hätten wir es wohl kaum glauben können, dass wir uns in der größten Metropolregion der Welt befinden, als wir den ersten Blick nach draußen werfen. Die hölzernen Schiebe-Elemente des Engawa-Balkons wurden zur Seite geschoben, was den Garten nahtlos mit dem Haus verbindet. Ein seelenruhiger grüner Innenhof mit einem kleinen Berg aus Fuji-Gestein und einem stillen Goldfisch-Teich. Kein Verkehrslärm ist zu hören, nur das Knarzen des alten Holzbodens unter den Schritten der Hostel-Bewohner, die durch den Gang schlurfen und wie wir mit dem Blick an diesem wunderschönen, Ruhe ausstrahlenden Gartengemälde hängenbleiben.
Einer Duftwolke folgend, deren Einzelkomponenten wir noch nicht vollends einordnen können, erreichen wir die Küche. Eine rundgesichtige Japanerin steht grinsend am Herd und schnippelt Gemüse klein, das wir nicht benennen hätten können. „Ohayoooo – did you sleep well?“, begrüßt sie uns freudig und bittet uns an den massiven Holztisch. Von dort aus beobachten wir bei Touristen-Smalltalk neugierig ihre routinierten Handgriffe beim morgendlichen Kochen. Aus einem Reiskocher hebt sie dampfenden Reis und formt mit den Händen Bällchen daraus, die sie mit Fisch und Kräutern vermengt – Juhuuuuu ONIGIRI – jauchzen die zwei ausgehungerten Reise-Schwestern. Nun sitzen wir also glückselig vor einer kleinen Ansammlung von Schalen und Tellern, wie das in Japan so üblich ist – bloß nicht zwei Dinge zusammen auf ein Geschirr legen! Eine warme Schale der duftenden Miso-Suppe, zwei verschiedenfarbige Reisbällchen im Algenblatt und natürlich frisch gebrühter Grüntee.
Welcome to Japan.
Soweit unsere ersten morgendlichen Eindrücke der Japan-Reise letztes Jahr, mit der sich meine Schwester und ich einen langjährigen Traum erfüllt haben. Doch warum erzähl ich euch all das? Ja genau: Es geht um das Frühstück! Schon in meiner Shiatsu-Ausbildung habe ich gelernt, warum laut Traditioneller Chinesischer Medizin das Frühstück die wichtigste Mahlzeit des Tages ist. Und in Japan wird dies wie in ganz Asien nach wie vor gelebt. Einen Monat lang konnten wir spüren, wie wohltuend es ist, täglich mit einer angenehm warmen Mahlzeit im Magen in den Tag zu starten. Uns hat das überzeugt, diese Tradition auch nach der Heimkehr fortzuführen. Auch wenn es vermutlich noch um vieles wohltuender war, als uns das Frühstück jeden Morgen von freundlichen, frühaufstehenden Japanerinnen serviert wurde…
Warmes Frühstück – Wie, Was, Warum?
Die kleine Anekdote über unsere Begeisterung über das erste japanische Frühstücks-Erlebnis sollte als kleiner „Appetitmacher“ dienen. Aber natürlich wollt ihr nun wissen, warum ich dauernd vom Frühstücken spreche und was „zum Kranich“ eigentlich Suppe in einem Satz mit Frühstück verloren hat…Ich möchte Euch also kurz ins Bild darüber setzen, warum das warme Frühstücken aus Sicht der TCM so essentiell ist.
Dazu ein Auszug aus „Die Heilung der Mitte“ von Dr. Georg Weidinger:
Die Milz steht in der Früh auf, sieht beim Fenster hinaus und sagt: „Heute ist ein herrlicher Tag! Heute reiß ich der Welt einen Haxen aus!“ Und dann wartet die Milz, zusammen mit ihrem Kind, dem Magen, auf das Frühstück, und wartet und wartet …
Alle Unklarheiten beseitigt? ? Die Milz ist natürlich enttäuscht, müde und kraftlos, wenn sie kalte oder überhaupt keine Nahrung bekommt. Zur Erklärung: Die Organe Magen und Milz stehen in der TCM nämlich für unsere Mitte, die es besonders zu nähren und pflegen gilt, damit auch alle anderen Organe (Herz/Dünndarm, Niere/Blase, Lunge/Dickdarm, Leber/Galle) gut versorgt werden. Die Milz wird als die Mutter aller anderen Organe gesehen. Der in Wiener Neustadt ordinierende TCM-Arzt Dr. Georg Weidinger widmet diesem Grundsatz ein wunderbar informatives und wie man sehen kann humorvolles Buch, das durch seine anschauliche Sprache den Zugang für TCM-Neulinge sehr leicht macht. Wer tiefer in die Welt der chinesischen Organkreise und die Aufgaben der Milz eintauchen möchte, dem kann ich das Buch sehr ans Herz legen. Diesen Blog-Eintrag und Eure Aufmerksamkeit würde eine weitere Vertiefung jedoch leider sprengen.
Nur soviel sei vorausgeschickt: Weidinger führt eine Vielzahl an Krankheiten auf ein Ungleichgewicht der Mitte zurück. Vor allem der modern-westliche Ernährungsstil ist laut ihm für eine ausgewogene Mitte nicht förderlich. Mit dem Buch will er uns nahelegen, dass man durch einen bestimmten Lebens- und Ernährungsstil seine Mitte so gut pflegen kann, dass man ohne Alltags-Wehwehchen wie z.B. Migräne, Heuschnupfen oder Magenbeschwerden lebt, wie sie viele von uns kennen.
„BITTE ESSEN SIE TÄGLICH EIN WARMES FRÜHSTÜCK“
Wie zum Beispiel wir in Japan mit Misosuppe und Reisbällchen, aber auch andere Varianten wie warmes Porridge eignen sich, die Milz freundlich zu stimmen. Die Milz liebt es warm – übrigens auch im Sommer. Und sie liebt es auch – so wie die Schwestern in Japan – wenn sie sich ihr Frühstück nicht „selber kochen“ muss. Kaltes und Rohes, wie z.B. das oft als gesund verkaufte Müsli mit Joghurt und frischen Früchten, muss die Milz laut Weidinger erst „selbst kochen“, also erst mal auf Betriebstemperatur bringen und verdaubar machen. Sie startet daher nicht gekräftigt, sondern mit Schwerstarbeit in den Tag. Dabei hat sie so viele andere Aufgaben zu erledigen, wie Weidinger anschaulichst beschreibt, die dann oft nicht erledigt werden und Folgen wie z.B. Verdauungsprobleme mit sich bringt. Auch westlich gedacht ist bekannt, dass Rohkost und ungekochtes Getreide schwerer verdaulich sind. Außerdem haben wir alle schon mal dieses chinesische Sprichwort gehört:
Iss morgens wie ein Kaiser, mittags wie ein Edelmann und abends wie ein Bettler.
Wenn man drüber nachdenkt, macht es Sinn, dem Körper Energie zuzuführen, bevor er an die Arbeit geht, oder? Das hängt, chinesisch gesehen, auch mit der Organ-Uhr zusammen, denn jedes Organ ist laut TCM zu einer bestimmten Zeit besonders aktiv.
Eines lässt sich nicht schönreden: Das mit dem warmen Frühstück ist mit etwas Aufwand verbunden. Es hört sich nicht sehr verlockend an, den Wecker noch früher zu stellen, um den Herd anzuschmeißen, wenn man doch stattdessen schnell ein Brot mit Butter schmieren und im Hinausgehen hinunterwürgen kann. ? Spaß beiseite: Mit etwas Bereitschaft kann man eine Gewohnheit daraus machen, und nach einiger Zeit wird dein Körper dir zeigen, warum sich der Aufwand auszahlt. Suppe kann man außerdem gut am Vorabend vorkochen.
Ich sehe das Aufstellen meines Suppentopfs mittlerweile als schönes, langsames Morgenritual und schätze auch das wohlig-warme und lang anhaltende Sättigungsgefühl im Vergleich zu einer Brotmahlzeit. Vielleicht konnte ich mit diesem Teaser-Eintrag ja schon mal den einen oder die andere verleiten, sich auf das Experiment einzulassen?! Für all jene, die einen kleinen Anstupser gebrauchen können, habe ich im nächsten Blog-Eintrag Rezeptideen für Euch. Wer nicht mehr warten kann, findet in einem dieser empfehlenswerten Bücher Inspiration:
- Schneider, Karola (1999) Kraftsuppen nach der Chinesischen Heilkunde. Wohltuende und stärkende Fünf-Elemente-Suppen für die westliche Küche Taschenbuch. Joy-Verlag
- Taikyu Kuhn Shimu, Sandy (2014) Stark aus der inneren Mitte: Frühstücken im Zen-Geist. Schirner Verlag
- Weidinger, Georg (2017) Die Heilung der Mitte. Ennsthaler Verlag
Ich wünsch Euch einen guten, kraftvollen, dankbaren Start in den Tag! Ohayo gozaimasu! Bis zum nächsten Mal. Eure Pia.